Wie ich lektoriere  

Kostenlose Schreibtipps


Auf Instagram poste ich regelmäßig Beiträge zu meiner Reihe "Wie ich lektoriere". Die kostenlosen Tipps zum Verbessern deines Schreibstils gibt es nun auch auf dieser Seite hier. :)


Thema: Es braucht meistens keine riesigen Änderungen


Beispiel:
"Als an einem Mittwoch hellrotes Morgenlicht über die Stadt kriecht, schlägt Oliver, der sein Gesicht in seinem muffig riechenden Kissen vergräbt, seine bleiernen Augenlider auf und denkt: Ich kann hier nicht mehr wohnen."
-> Weil es schwierig ist, die Augen aufzumachen, wenn das Gesicht in ein Kissen gedrückt ist, wäre eine Alternative zu diesem Satz:
"Als an einem Mittwoch hellrotes Morgenlicht über die Stadt kriecht, vergräbt Oliver sein Gesicht in seinem muffig riechenden Kissen und denkt: Ich kann hier nicht mehr wohnen."

Beispiel:
"Frustriert stampfe ich den Flur entlang ins Wohnzimmer, wo Vera auf dem Sofa liegt und sich irgendeine Musiksendung anschaut. Als sie mich bemerkt, wendet sie sich mir zu.
»Ich weiß nicht, was ich anziehen soll«, jammere ich hilflos. Vera mustert meinen Körper."
-> Beim ersten Satz kann man überlegen, ob der Flur unbedingt mit rein muss oder ob es ausreicht, die Figur direkt ins Wohnzimmer stampfen zu lassen, da das Verb ja schon ausdrucksstark ist. Und dieses "Stampfen" muss nicht durch den Flur verlängert werden, denn es kommt hier ja auf das Ziel, das Wohnzimmer an.
Der zweite Satz ist einer dieser Sätze, die ich häufig streiche. Beim Schreiben meinen wir meistens, dass wir jedes Zuwenden an eine Person, jedes Ansehen, usw. schildern müssen − vielleicht weil wir befürchten, den Lesenden könnte sonst eine Information über die Bewegung fehlen. Aber wenn hier der zweite Satz weggelassen wird, geht nichts verloren, im Gegenteil, diese Sätze bekommen Luft zum Atmen: Dass Vera die Hauptfigur bemerkt, als sie ins Zimmer stampft und jammert, ist selbstverständlich, und da sie sie danach ja auch mustert, ergibt sich in unseren Köpfen automatisch das Bild, dass sie sich ihr zuwendet.
Mein Vorschlag ist also:
"Frustriert stampfe ich ins Wohnzimmer, wo Vera auf dem Sofa liegt und sich irgendeine Musiksendung anschaut. »Ich weiß nicht, was ich anziehen soll«, jammere ich. Vera mustert meinen Körper."
("Hilflos" ist ein Adverb, das man auch weglassen könnte, da "jammern" schon aussagekräftig ist.)

~ Ihr seht, es braucht manchmal keine riesigen Veränderungen. Oftmals kann ich kleine Änderungen vorschlagen, die den jeweiligen Satz logischer machen. 😊


Thema: Stilistische Feinheiten in Bezug auf Sinndoppelungen.

Beispiel: 'Wo war das denn genau?', hakte sie weiter nach.
-> Was stört mich hier? Genau: "weiter".
Warum? Weil "nachhaken" bereits impliziert, dass sie "weiter" nachfragt. In diesem Fall und ähnlichen Fällen streiche ich daher das Wort, das den Sinn doppelt. (Es sei denn, die Sinndoppelung ergibt ein Stilmittel oder hat anderweitig besondere Bedeutung.)

Beispiel: 'Vielleicht können wir uns wegschleichen', flüsterte Anna leise
.
-> Was stört mich? Ihr ahnt es: "leise".
Warum? Weil "flüstern" bereits impliziert, dass etwas leise gesagt wird. Vor allem, wenn im Dialog zuvor Inquit-Formeln genutzt wurden wie "sagte" "fragte" oder sogar "rief" etc., die nicht mit "leise" ergänzt wurden, bildet "flüsterte" schon einen deutlichen Kontrast, dessen Bedeutung mit "leise" einfach nur gedoppelt werden würde.

Will man hervorheben, dass jemand besonders laut flüstert, kann man das natürlich schreiben, ein Beispiel dafür wäre:
"Vielleicht können wir uns durch die Hintertür schleichen", flüsterte Anna.
"Aber die ist doch abgeschlossen!" Toms Flüsterton war so laut, dass sie ihm erschrocken den Mund zuhielt und lauschte, ob die Eltern ihn gehört hatten.

Natürlich kann die eine Person leiser oder lauter flüstern als die andere 😉 Das drückt man jedoch meist in einer anderen Formulierung aus, statt "flüsterte leise" zu schreiben.


Thema: Redebegleitsätze

Um Figurenbeziehungen oder Stimmungen in Dialogen deutlich zu machen, beschreiben wir oftmals hochfrequentiert die Blicke, die ausgetauscht werden. Nicht selten folgt dann auf jede wörtliche Rede der Figuren ihr enttäuschter, vielsagender, warnender Blick oder sie sehen sich fragend, stirnrunzelnd, schelmisch an.
Ja, Blicke sind wichtig – aber nicht der einzige Weg, um auszudrücken, wie jemand das Gesagte meint oder welche Botschaft er der Gesprächspartnerin ungesagt vermitteln will.

Beispiel: "Sarah wandte den Blick wieder nach vorn und antwortete nicht darauf."
(In der Szene gehen zwei Figuren nebeneinanderher.)
-> Wenn man hier nur schreibt: "Sarah antwortete nicht darauf" stellen sich Lesende entweder vor, dass sie ihren Gesprächspartner dabei ansieht oder sie gehen automatisch davon aus, dass sie ihn nicht dabei ansieht. Für diese Situation war es ausschlaggebend, dass sie keine Antwort gibt, deshalb habe ich den Blick gelöscht.
Im Lektorat fallen meiner Löschtaste viele solcher Augen und Blicke zum Opfer – verzeiht es mir. Dafür schlage ich aussagekräftige Gesten, Mimik, Stimmklang oder Laute (z. B. seufzen) vor. (Und ihr habt natürlich immer die Möglichkeit, das Löschen über die Word-Funktion nicht anzunehmen.) Dies alles sollte dann natürlich auch nicht inflationär gebraucht werden, aber es ist meistens automatisch mehr Show als Tell.
Ich persönlich finde es ja auch immer gut, wenn das Gesagte so formuliert ist, dass kein Zweifel bleibt, wie es gemeint ist. (Da kommt meine Theater-Affinität durch 😁)

Bei den Beschreibungen von Gestik und Mimik gibt es übrigens auch die Möglichkeit, Deutungsspielraum zu lassen: Ist der Charakter, der sich durch die Haare fährt, nervös oder genervt? Insbesondere bei Figuren, die erst im Nachhinein verstanden werden sollen, weil sie z. B. der versteckte Antagonist sind und die Lesenden das erst ab einem bestimmten Punkt der Geschichte begreifen sollen, bietet sich dieses Offenlassen von genauen Bedeutungen der Gestiken an.


Thema: Kürzen

Beispiel: "Er lässt sich in den weichen Stoff sinken und atmet tief ein. Die Gefühle, die er verspürt, scheinen ihm überwältigend und nicht in Worte zu fassen. Bis sie ankommen, kann er nur lächelnd aus dem Fenster sehen."
-> Hier sieht man sehr schön, dass mit dem Weglassen des zweiten Satzes dessen Aussage über die positive Aufgewühltheit nicht verschwindet, sondern durch die anderen beiden Sätze GEZEIGT wird (Showing). Der zweite Satz würde die Aussage dieser Sätze quasi wiederholen, nur eben mit dem Telling. Die von mir lekt
orierte Version dieses Satzes lautet demzufolge:
"
Er lässt sich in den weichen Stoff sinken und atmet tief ein. Bis sie ankommen, kann er nur lächelnd aus dem Fenster sehen."

Beispiel: "Ihre Reaktion lässt mich spüren, sie ahnt, dass ich nicht ehrlich bin."
-> Für diesen Satz habe ich folgende Änderung im Manuskript vorgeschlagen:
"Sie ahnt, dass ich nicht ehrlich bin."

Beispiel: "Er sieht ihr ins Gesicht, sie schneidet eine Grimasse."
-> Was "sehen", "blicken" etc. angeht, gibt es meistens in Manuskripten einiges zu kürzen. Auch dieser Satz geht einfacher und büßt trotzdem nichts von seiner Aussage und dem Bild, das sich in den Köpfen der Lesenden bildet, ein:
"Sie schneidet eine Grimasse."
(Der Satz könnte noch ergänzt werden mit einem Zusatz, der beschreibt, was für eine Grimasse genau sie schneidet. Damit können Er-Erzähler und die Lesenden etwas über ihre Haltung zu dem vorher Gesagten ableiten.)


Thema: Verschiedenes

Beispiel zur zeitlichen Abfolge:
"Der Soldat stolperte zurück und umklammerte seinen blutenden Arm, während er einen erneuten Angriff startete."
-> "Während" man zurückstolpert ist es wahrscheinlich schwierig, einen erneuten Angriff zu starten. Man könnte den Satz so abändern (und auch die Spannung in der Szene sprachlich ausdrücken):
"Der Soldat stolperte zurück und umklammerte seinen blutenden Arm. Keine Frage, er war verblüfft, dass eine Frau ihn so in Bedrängnis gebracht hatte. Doch er ließ sich von seinem Erstaunen nicht lange ablenken, schon setzte er zu einem erneuten Angriff an."

Beispiel für zu kleinteiliges Beschreiben:
"Ich betrachtete das Armband einige Zeit, dann sah ich, dass Natascha noch etwas aus der Schublade zog, und richtete meinen Blick wieder auf sie."
-> Oftmals geht es ein wenig einfacher, ohne dass Bedeutung verloren geht, z. B. so:
"Ich betrachtete das Armband eine Weile, dann zog Natascha noch etwas aus der Schublade."

Beispiel zur Ich-Perspektive:
"In ihren Augen sah ich Tränen glitzern."
-> Achtung bei der Ich-Perspektive: Nicht zu viel "Ich sah sie/ihn xy tun", sondern einfach die direkte Variante nehmen, in diesem Fall: "In ihren Augen glitzerten Tränen."
Dass der Ich-Erzähler das sieht, versteht sich dabei von selbst. Da ohnehin die Gefahr besteht, dass man zu viel "ich" schreibt in dieser Perspektive, ist es bei solchen Sätzen also gut, die direktere Variante zu nehmen.


Thema: Show don't Tell

In einem Manuskript lautete der erste Satz: "Ich stand am Fenster, schaute auf meine Grünlilie und zupfte genervt die braunen Blätter ab."
(Der zweite Satz machte dann klar, dass sich "genervt" auf das Gesprächsgegenüber bezog.)
-> Geschichten arbeiten immer mit Verdichtung, denn jede kleinste Bewegung, jeden Blick zu schildern, ermüdet beim Lesen. Hier passt es wunderbar, "schauen" wegzulassen und die Hauptfigur direkt zupfen zu lassen 😉
Weiterhin versteht man "genervt" in diesem Satz bezogen auf die braunen Blätter. Das kann man als winzigen Twist so lassen, noch packender wäre, hier mehr ins Showing zu gehen, z. B. so:

"Ich stand am Fenster und rupfte so heftig die braunen Blätter von meiner Grünlilie, dass die Topfpflanze umzukippen drohte."

Das Genervt- oder Wütendsein zeigt sich mit so einer Formulierung, ohne dass es extra beschrieben werden muss, ganz nach dem Prinzip Show don't Tell. Zudem ist das Verb "rupfen" ausdrucksstärker als "zupfen" und passt besser zum Genervtsein.