Wie ich lektoriere −
Kostenlose Schreibtipps
Thema: Es braucht meistens keine riesigen Änderungen
Beispiel:
"Als an einem Mittwoch hellrotes Morgenlicht über die Stadt
kriecht, schlägt Oliver, der sein Gesicht in seinem muffig riechenden
Kissen vergräbt, seine bleiernen Augenlider auf und denkt: Ich kann hier
nicht mehr wohnen."
-> Weil es schwierig ist, die Augen
aufzumachen, wenn das Gesicht in ein Kissen gedrückt ist, wäre eine
Alternative zu diesem Satz:
"Als an einem Mittwoch hellrotes Morgenlicht
über die Stadt kriecht, vergräbt Oliver sein Gesicht in seinem muffig
riechenden Kissen und denkt: Ich kann hier nicht mehr wohnen."
Beispiel:
"Frustriert stampfe ich den Flur entlang ins
Wohnzimmer, wo Vera auf dem Sofa liegt und sich irgendeine Musiksendung
anschaut. Als sie mich bemerkt, wendet sie sich mir zu.
»Ich weiß nicht, was ich anziehen soll«, jammere ich hilflos. Vera mustert meinen Körper."
->
Beim ersten Satz kann man überlegen, ob der Flur unbedingt mit rein
muss oder ob es ausreicht, die Figur direkt ins Wohnzimmer stampfen zu
lassen, da das Verb ja schon ausdrucksstark ist. Und dieses "Stampfen"
muss nicht durch den Flur verlängert werden, denn es kommt hier ja auf
das Ziel, das Wohnzimmer an.
Der zweite Satz ist einer dieser Sätze,
die ich häufig streiche. Beim Schreiben meinen wir meistens, dass wir
jedes Zuwenden an eine Person, jedes Ansehen, usw. schildern müssen −
vielleicht weil wir befürchten, den Lesenden könnte sonst eine
Information über die Bewegung fehlen. Aber wenn hier der zweite Satz
weggelassen wird, geht nichts verloren, im Gegenteil, diese Sätze
bekommen Luft zum Atmen: Dass Vera die Hauptfigur bemerkt, als sie ins
Zimmer stampft und jammert, ist selbstverständlich, und da sie sie
danach ja auch mustert, ergibt sich in unseren Köpfen automatisch das
Bild, dass sie sich ihr zuwendet.
Mein Vorschlag ist also:
"Frustriert
stampfe ich ins Wohnzimmer, wo Vera auf dem Sofa liegt und sich
irgendeine Musiksendung anschaut. »Ich weiß nicht, was ich anziehen
soll«, jammere ich. Vera mustert meinen Körper."
("Hilflos" ist ein Adverb, das man auch weglassen könnte, da "jammern" schon aussagekräftig ist.)
~ Ihr seht, es braucht manchmal keine riesigen Veränderungen. Oftmals kann ich kleine Änderungen vorschlagen, die den jeweiligen Satz logischer machen. 😊
Thema: Stilistische Feinheiten in Bezug auf Sinndoppelungen.
Beispiel: 'Wo war das denn genau?', hakte sie weiter nach.
-> Was stört mich hier? Genau: "weiter".
Warum?
Weil "nachhaken" bereits impliziert, dass sie "weiter"
nachfragt. In diesem Fall und ähnlichen Fällen streiche ich daher das
Wort, das den Sinn doppelt. (Es sei denn, die Sinndoppelung ergibt ein
Stilmittel oder hat anderweitig besondere Bedeutung.)
Beispiel: 'Vielleicht können wir uns wegschleichen',
flüsterte Anna leise.
-> Was stört mich? Ihr ahnt es: "leise".
Warum? Weil "flüstern" bereits impliziert, dass
etwas leise gesagt wird. Vor allem, wenn im Dialog zuvor Inquit-Formeln genutzt
wurden wie "sagte" "fragte" oder sogar "rief" etc., die nicht mit "leise"
ergänzt wurden, bildet "flüsterte" schon einen deutlichen Kontrast, dessen
Bedeutung mit "leise" einfach nur gedoppelt werden würde.
Will man hervorheben, dass jemand besonders laut flüstert,
kann man das natürlich schreiben, ein Beispiel dafür wäre:
"Vielleicht können wir uns durch die Hintertür schleichen",
flüsterte Anna.
"Aber die ist doch abgeschlossen!" Toms Flüsterton war so
laut, dass sie ihm erschrocken den Mund zuhielt und lauschte, ob die Eltern ihn
gehört hatten.
Natürlich kann die eine Person leiser oder lauter flüstern
als die andere 😉 Das drückt man jedoch meist in einer anderen
Formulierung aus, statt "flüsterte leise" zu schreiben.
Thema: Redebegleitsätze
Um Figurenbeziehungen oder Stimmungen in Dialogen deutlich
zu machen, beschreiben wir oftmals hochfrequentiert die Blicke, die
ausgetauscht werden. Nicht selten folgt dann auf jede wörtliche Rede der
Figuren ihr enttäuschter, vielsagender, warnender Blick oder sie sehen sich
fragend, stirnrunzelnd, schelmisch an.
Ja, Blicke sind wichtig – aber nicht der einzige Weg, um
auszudrücken, wie jemand das Gesagte meint oder welche Botschaft er der
Gesprächspartnerin ungesagt vermitteln will.
Beispiel: "Sarah wandte den Blick wieder nach vorn und antwortete
nicht darauf."
(In der Szene gehen zwei Figuren nebeneinanderher.)
-> Wenn man hier nur schreibt: "Sarah antwortete nicht darauf"
stellen sich Lesende entweder vor, dass sie ihren Gesprächspartner dabei
ansieht oder sie gehen automatisch davon aus, dass sie ihn nicht dabei ansieht.
Für diese Situation war es ausschlaggebend, dass sie keine Antwort gibt,
deshalb habe ich den Blick gelöscht.
Im Lektorat fallen meiner Löschtaste viele solcher Augen und
Blicke zum Opfer – verzeiht es mir. Dafür schlage ich aussagekräftige Gesten,
Mimik, Stimmklang oder Laute (z. B. seufzen) vor. (Und ihr habt natürlich immer die Möglichkeit, das Löschen über die Word-Funktion nicht anzunehmen.) Dies alles sollte dann
natürlich auch nicht inflationär gebraucht werden, aber es ist meistens
automatisch mehr Show als Tell.
Ich persönlich finde es ja auch immer gut, wenn das Gesagte
so formuliert ist, dass kein Zweifel bleibt, wie es gemeint ist. (Da kommt
meine Theater-Affinität durch 😁)
Bei den Beschreibungen von Gestik und Mimik gibt es übrigens
auch die Möglichkeit, Deutungsspielraum zu lassen: Ist der Charakter, der sich
durch die Haare fährt, nervös oder genervt? Insbesondere bei Figuren, die erst
im Nachhinein verstanden werden sollen, weil sie z. B. der versteckte
Antagonist sind und die Lesenden das erst ab einem bestimmten Punkt der
Geschichte begreifen sollen, bietet sich dieses Offenlassen von genauen
Bedeutungen der Gestiken an.
Thema: Kürzen
Beispiel: "Er lässt sich in den weichen Stoff sinken und atmet tief ein. Die Gefühle, die er verspürt, scheinen ihm überwältigend und nicht in Worte zu fassen. Bis sie ankommen, kann er nur lächelnd aus dem Fenster sehen."
-> Hier sieht man sehr schön, dass mit dem Weglassen des
zweiten Satzes dessen Aussage über die positive Aufgewühltheit nicht
verschwindet, sondern durch die anderen beiden Sätze GEZEIGT wird (Showing).
Der zweite Satz würde die Aussage dieser Sätze quasi wiederholen, nur eben mit
dem Telling. Die von mir lektorierte Version dieses Satzes lautet demzufolge:
"Er lässt sich in den weichen Stoff
sinken und atmet tief ein. Bis sie ankommen, kann er
nur lächelnd aus dem Fenster sehen."
Beispiel: "Ihre Reaktion lässt mich spüren, sie ahnt, dass ich nicht ehrlich bin."
-> Für diesen Satz habe ich folgende Änderung im Manuskript
vorgeschlagen:
"Sie ahnt, dass ich nicht ehrlich bin."
Beispiel: "Er sieht ihr ins Gesicht, sie schneidet eine Grimasse."
-> Was "sehen", "blicken" etc. angeht, gibt es meistens in
Manuskripten einiges zu kürzen. Auch dieser Satz geht einfacher und büßt trotzdem
nichts von seiner Aussage und dem Bild, das sich in den Köpfen der Lesenden
bildet, ein:
"Sie schneidet eine Grimasse."
(Der Satz könnte noch ergänzt werden mit einem Zusatz, der
beschreibt, was für eine Grimasse genau sie schneidet. Damit können Er-Erzähler
und die Lesenden etwas über ihre Haltung zu dem vorher Gesagten ableiten.)
Thema: Verschiedenes
Beispiel zur zeitlichen Abfolge:
"Der Soldat stolperte zurück und umklammerte seinen
blutenden Arm, während er einen erneuten Angriff startete."
-> "Während" man zurückstolpert ist es wahrscheinlich
schwierig, einen erneuten Angriff zu starten. Man könnte den Satz so abändern
(und auch die Spannung in der Szene sprachlich ausdrücken):
"Der Soldat stolperte zurück und umklammerte seinen
blutenden Arm. Keine Frage, er war verblüfft, dass eine Frau ihn so in
Bedrängnis gebracht hatte. Doch er ließ sich von seinem Erstaunen nicht lange
ablenken, schon setzte er zu einem erneuten Angriff an."
Beispiel für zu kleinteiliges Beschreiben:
"Ich betrachtete das Armband einige Zeit, dann sah ich,
dass Natascha noch etwas aus der Schublade zog, und richtete meinen Blick
wieder auf sie."
-> Oftmals geht es ein wenig einfacher, ohne dass
Bedeutung verloren geht, z. B. so:
"Ich betrachtete das Armband eine Weile, dann zog
Natascha noch etwas aus der Schublade."
Beispiel zur Ich-Perspektive:
"In ihren Augen sah ich Tränen glitzern."
-> Achtung bei der Ich-Perspektive: Nicht zu viel "Ich
sah sie/ihn xy tun", sondern einfach die direkte Variante nehmen, in diesem
Fall: "In ihren Augen glitzerten Tränen."
Dass der Ich-Erzähler das sieht, versteht sich dabei von
selbst. Da ohnehin die Gefahr besteht, dass man zu viel "ich" schreibt in
dieser Perspektive, ist es bei solchen Sätzen also gut, die direktere Variante
zu nehmen.
Thema: Show don't Tell
In einem Manuskript lautete der erste Satz: "Ich stand am Fenster, schaute auf meine Grünlilie und zupfte genervt die braunen Blätter ab."
(Der zweite Satz machte dann klar, dass sich "genervt" auf das Gesprächsgegenüber bezog.)
-> Geschichten arbeiten immer mit Verdichtung, denn jede kleinste Bewegung, jeden Blick zu schildern, ermüdet beim Lesen. Hier passt es wunderbar, "schauen" wegzulassen und die Hauptfigur direkt zupfen zu lassen 😉
Weiterhin versteht man "genervt" in diesem Satz bezogen auf die braunen Blätter. Das kann man als winzigen Twist so lassen, noch packender wäre, hier mehr ins Showing zu gehen, z. B. so:
"Ich stand am Fenster und rupfte so heftig die braunen Blätter von meiner Grünlilie, dass die Topfpflanze umzukippen drohte."
Das Genervt- oder Wütendsein zeigt sich mit so einer Formulierung, ohne dass es extra beschrieben werden muss, ganz nach dem Prinzip Show don't Tell. Zudem ist das Verb "rupfen" ausdrucksstärker als "zupfen" und passt besser zum Genervtsein.
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