
Das Lektorat zaubert nicht
Jedes
Manuskript bringt seine eigene Stimme mit, seine individuellen Stärken und
Schwächen. Das ist vollkommen in Ordnung − und
macht für mich auch den Reiz meiner Arbeit aus: in eine neue Geschichte
eintauchen, mich über das freuen, was nicht verbessert oder geändert werden
muss, und in schwächelnden Stellen das Potenzial wahrnehmen und mit meinen Änderungsvorschlägen
versuchen, dieses herauszukitzeln.
So wie jedes Manuskript in dem Status zu mir kommt, für den der*die Autor*in
sein Bestes gegeben hat, macht jedes Manuskript während Lektorat und
Einarbeitung seine eigene Wandlung durch. Da ich mit meinen Vorschlägen und
Erklärungen nicht überfordern will, sondern versuche, mich damit den
Schreibenden anzupassen, hat die Geschichte am Ende vielleicht immer noch
Schwächen. Aber die Schreibenden und ich sehen den Unterschied zwischen der
Fassung, die ins Lektorat gewandert ist, und der, die zur Veröffentlichung
herausspaziert. Meistens ist es sowieso so, dass man immer noch mal gewisse
Dinge überarbeiten könnte, egal wie viele Lektoratsdurchgänge schon gemacht
wurden.
Was will ich damit jetzt eigentlich sagen?
Mein Lektorat zaubert aus einem Manuskript mit vielen Schwächen (es gibt in
jedem Manuskript auch IMMER Stärken) keine Geschichte mit perfektem Plot,
perfekter Charakterausarbeitung, perfekter Sprache etc., da das Lektorat nicht
dazu dient, die Geschichte komplett umzuschreiben.
Ich arbeite mit dem, was da
ist, hole dich da ab, wo du mit deiner Geschichte bist. Entweder liegt an
diesem Punkt ein weiterer Weg vor uns oder ein kürzerer.
Die größte Arbeit an der Geschichte wird immer bei den Autor*innen liegen.
Haben sie ihre Figuren nicht tief genug zu fassen bekommen, kann das Lektorat
zwar Vorschläge für mehr Authentizität geben, letztendlich kommt in der Veröffentlichung
jedoch das zu den Lesenden, was die Schreibenden daraus gemacht haben. Die
Verantwortung für ihr Buch liegt bei den Schreibenden. Nur bei Sprachschnitzern
könnt ihr das Lektorat belangen, dennoch will ich da erinnern: Ich bin auch nur
ein Mensch und übersehe ab und zu Fehler.
Ich freue mich immer, wenn meine Vorschläge zu intensiver Auseinandersetzung
mit den Figuren und ihrer Reise anregen können. Und darauf kommt es an: dass
euch die Reise mit euren Figuren Spaß gemacht hat und ihr das, was ihr gelernt
habt, danach in eurem zweiten Buch anwendet.
So wie ich mit jedem Lektorat besser in meiner Arbeit werde, verbessert ihr euch mit
jeder Geschichte und jedem Lektoratsdurchgang. Und wir dürfen uns alle
in unserem Tempo weiterentwickeln.