Beispiel-Lektorat

Der einfacheren Darstellung halber gibt es hier markierte Textpassagen aus einem meiner Lektorate und meine Kommentare dazu. Normalerweise lektoriere ich jedoch in Word-Dokumenten. Von einem meiner Autor*innen durfte ich die ersten Absätze für das Beispiellektorat heranziehen und was ich da anzumerken hatte, beschreibe ich auf dieser Seite. :)


"Stöhnend" und "ächzend" sind Adverbien, die das Verb des Satzes ("hob") näher beschreiben. In dieser Verwendung sind sie bloße Synonyme, es wäre präziser, nur eines der beiden zu verwenden.
Da im dritten Satz  auch ein Adverb am Anfang steht, bekommen die Sätze einen ähnlichen Rhythmus. Ich kenne das aus einigen Manuskripten von den Autor*innen, die schon bei mir ein Lektorat gebucht haben, dass man schnell verleitet wird, zu viele Adverbien zu verwenden. Und die auch gerne oft an den Satzanfang stellt, wodurch sich schnell Parallelismen ergeben. (Sätze mit einem gleichen oder ähnlichen Satzaufbau.) Wenn das aber nicht als Stilmittel gewollt ist – und hier sehe ich darin keine Stilmittelbedeutung – dann nervt die Wiederholung.
Mein Vorschlag war also: auf jeden Fall eines der Adverbien streichen und ggf. den Satz umdrehen und z. B. schreiben: "Der alte Mann hob ächzend seinen Kopf."
(Oder den dritten Satz umformulieren.) Was auch möglich wäre: Eines der Adverbien zu einem Verb zu machen und in den Satz einzubauen. Z. B. so: "Der Mann hob den Kopf und ächzte." Damit hätten wir dann "den Kopf heben" und "ächzen" als Verben, die ganz für sich allein stehen können und keine Beschreibung in Form eines Adverbs brauchen.

Bei "scheinbar" handelt es sich um einen Wortfehler, da die Bedeutung von "anscheinend" gemeint ist. "Scheinbar" kann man aber nicht synonym zu "anscheinend" verwenden, weil es eine andere Bedeutung hat. Was hier gemeint ist, ist, dass etwas so scheint, wie es tatsächlich auch ist. Mit dem "scheinbar" drückt es jedoch aus: es scheint so, als sei er an seinem Schreibtisch eingeschlafen, es ist aber unmöglich so. Das trifft also nicht die Bedeutung, die der Autor hier gemeint hat. Deshalb habe ich empfohlen, "scheinbar" gegen "anscheinend" auszutauschen oder "scheinbar" ganz zu streichen, denn der Satz geht auch ohne "anscheinend": "Er war an seinem Schreibtisch eingeschlafen."

Dann haben wir im dritten Satz "an" markiert, das bezieht sich auf die goldene Uhr, die an einer Ecke des Tisches stehen soll. Ich habe "an" als Wortfehler gesehen, weil die Größe der Uhr oder auch, was genau das für eine Uhr ist, nicht beschrieben wird, und deshalb gehe ich davon aus, dass es eine kleinere Uhr ist, die auf den Tisch passt und eben auf einer Ecke des Tisches steht. In einem Kommentar am Manuskript habe ich zusätzlich angemerkt: Falls der Autor meint, dass die goldene Uhr eine Standuhr ist, die neben dem Tisch steht, braucht es entweder eine genauere Angabe oder eine Formulierung wie diese wäre unmissverständlicher: "die goldene Standuhr, die neben dem Tisch stand."

Im vierten Satz stellt "merkwürdige" Rädchen und Zahlen eine Bewertung dar –   wenn wir sagen "merkwürdige Rädchen und Zahlen", gehen wir davon aus, dass der Erzähler diese Rädchen und Zahlen für merkwürdig hält.
Hier, am Anfang der Geschichte, wird allerdings noch nicht ganz klar, was wir für einen Erzähler haben. Es könnte der Er-Erzähler sein (das Erzählen bleibt bei dem alten Mann, bei dem Protagonisten der Geschichte, der aber nicht aus der Ich-Perspektive die Geschichte erzählt, sondern aus der Er-Perspektive). Warum mich da aber das "merkwürdig" gewundert hat, ist, weil der alte Mann in einer Umgebung aufwacht, die ihm bekannt ist. Das stellt sich im Laufe des Textes heraus. Und wenn ihm die Umgebung bekannt ist, ist ihm auch diese goldene Uhr bekannt. Und warum sollte er die Rädchen und Zahlen dann für merkwürdig halten? Das heißt, "merkwürdig" könnte ein Perspektivfehler sein und ich habe das in einem Kommentar am Manuskript so vermerkt - erst einmal nur für mich, da ich erst beim Weiterlesen der Geschichte herausfand, dass der alte Mann tatsächlich der Erzähler ist, und dann habe ich es auch dem Autor so erklärt.

Die Formulierung "der in die Jahre gekommene" schlägt einen Bogen zu dem "alten" Mann im ersten Satz. Im ersten Satz zu sagen, dass der Mann alt ist, ist vollkommen in Ordnung – im fünften Satz dann aber zu wiederholen, dass er alt ist, nur eben mit der Umschreibung "der in die Jahre gekommene" Mann, ist ein bisschen überflüssig, weil es ja inhaltlich das gleiche ist. Wenn man im ersten Satz nur "der Mann" schreiben würde, statt der "alte Mann" könnte man natürlich im fünften Satz, das "in die Jahre gekommene" lassen, je nachdem, ob man möchte, dass der Mann von Anfang an schon etwas genauer beschrieben wird, oder ob die genauere Beschreibung dann erst später kommen soll. Da im fünften Satz der weiße Bart erwähnt wird, reicht das zusammen mit dem "alten Mann" aus dem ersten Satz aber vollkommen, um auf das Alter hinzuweisen.

"starte" ist ein kleiner Rechtschreib- oder Tippfehler, das Wort wird mit zwei "r" geschrieben. So etwas verbessere ich ohne Kommentar direkt im Text, wobei die Änderungen nachverfolgen-Funktion in Word diese Änderung natürlich sichtbar macht für die Autor*innen.

Warum ist "Zifferblätter" markiert? Falls sich einige wundern: Nach dem Duden gibt es "Zifferblätter" genauso wie "Ziffernblätter". Das ist also kein Fehler, allerdings habe ich habe über die Mehrzahl gewundert. Oben steht ja, die Uhr hat Rädchen und Zahlen, jedoch ist von mehreren Zifferblättern nicht die Rede. In einem Kommentar am Manuskript habe ich den Autor gefragt, ob Plural hier Sinn macht, ob das schon eine Andeutung ist oder ob sich das tatsächlich nur auf die eine Uhr bezieht und dort eigentlich im Singular stehen müsste: "starrte eine Zeit lang auf das Zifferblatt."