Schreiben für mentale Gesundheit - Schreiben mit mentalen Erkrankungen - Schreiben, um zu verarbeiten

11.08.2022

Triggerwarnung: konkret berichtete Depression, Erwähnung von mentalen Erkrankungen

Auf Instagram gibt es den Hashtag #DiverserDonnerstag. Dort ist das Thema heute: Schreiben bzw. Bookstagram und mental health. Da in einen Instagrambeitrag nur eine begrenzte Anzahl Zeichen passen, gibt es meinen ungekürzten Beitrag nun hier für euch :) Wie die meisten schon wissen, habe ich selbst mit Depressionen zu kämpfen und ich spreche offen darüber. Wer davon noch nichts wusste, jetzt steht es hier schwarz auf weiß ;) Falls ihr Fragen zu dem Thema habt, schreibt mir gerne.

Mir persönlich hilft Schreiben sehr, wenn ich mental struggle. Doch es gibt eine Grenze, wenn die überschritten ist, hilft auch kein Schreiben mehr. Dann braucht es − und nicht erst dann, sondern genau genommen schon vorher − professionelle Unterstützung in Form von Therapie o. Ä.
Wenn ich also an Tagen, an denen mich der Depressionsnebel nicht verschluckt, kreativ schreibe, verarbeite ich darin bewusst oder unbewusst Dinge, mit denen ich zu kämpfen habe und das betrifft bei mir insbesondere den mentalen/seelischen (call it whatever you want) Bereich.

Unbewusste Verarbeitung findet bei mir vor allem im belletristischen Bereich statt, zum Beispiel in der Fantasy-Geschichte und in dem Entwicklungsroman, an denen ich aktuell arbeite.
Bewusste Verarbeitung habe ich so richtig erst seit letztem Jahr in mein Schreiben fließen lassen: über die Lyrik, die meinen Instagram-Account ein Jahr lang geprägt hat, und über autofiktionale Texte, wie einige auf meinem Blog zu finden sind (und viele in meiner Schublade mit den Notizbüchern).
Was bei dieser Art des Schreibens mit mental health-Themen zu beachten ist, ist, wie schwer das sein kann. Mir zumindest raubt ein autofiktionaler Text unheimlich viel Energie, sowohl in der Rohfassung, als auch während der Überarbeitung. Warum sage ich dann, dass es hilft/helfen kann? Weil Reflektion immer guttut, weil beim Schreiben Erkenntnisse zutage treten können, die wertvoll für unsere weitere Entwicklung sind, weil es befreiend ist, sich das, was man schon immer sagen wollte, endlich von der Seele zu schreiben − auch bei Texten, die man niemals jemandem zeigt.

Und das fiktionale Schreiben über schwierige mentale Themen kann zum Beispiel in dem Sinne helfen, dass man, indem man die betroffene Figur in der Geschichte heilen lässt, selbst ein Stück mitbefreit wird. Auch der Effekt, den die Geschichte später auf Leser*innen hat, die sich gesehen und verstanden fühlen oder die durch die Geschichte achtsamer in Bezug auf mentale Gesundheit werden, kommt auch uns Schreibenden zugute, denn wer freut sich nicht, wenn das eigene Schreiben anderen eine Hilfe sein kann?
Und egal, welches Gebiet man genau aus dem riesigen Bereich "Mentale Gesundheit" behandelt: Alles hat mindestens eine Stimme verdient, die auf das Thema aufmerksam macht − ob indirekt oder direkt in der Fiktion oder direkt in einem Ratgeber.


Was Depressionen und kreatives Schreiben angeht, kann ich von mir berichten, dass es ein zwiespältiges Verhältnis ist 😅 (Depression äußert sich nicht bei jedem auf gleiche Weise, daher kann ich nur aus meiner Erfahrung berichten. Vielleicht geht es anderen mit Depressionen und dem Schreiben anders.) Einerseits kann ich an schweren Tagen gar nicht schreiben. Andererseits kann ich an mittelschweren Tagen oder an solchen, wo die Depression kaum zu spüren ist, manchmal auch nicht schreiben. In meinem Fall kommt es darauf an, ob ich die Depression als totale Abwesenheit von Gefühlen, als große Taubheit wahrnehme − dann geht nichts. Oder ob sich die Depression als ein Ansturm von Gefühlen äußert, wo auf einmal so viel in mir los ist, dass ich gar nicht weiß, wohin mit mir, wie ich den Lärm in meinem Inneren besänftigen kann. Und da kommt das Schreiben ins Spiel: Wenn ich eines der übermächtigen Gefühle herauspicke und es auf ein Blatt Papier klatsche, wird mir durch das Schreiben zum einen klar, was mit mir los ist, was sich da meldet aus der Vergangenheit, was damals zu diesem heftigen Gefühl geführt hat und wie ich als Kind ohne Hilfe von Erwachsenen versucht habe, damit klarzukommen. Und zum anderen beflügelt dieses Gefühl dann sogar meine Kreativität, da schreibe ich plötzlich auf eine Art, von der ich nicht wusste, dass ich so schreiben kann, dass ich inneren Schmerz auf künstlerische Weise ausdrücken kann. Und so ein Schreibprozess hat dann auch etwas Klärendes an sich, hinterher fühle ich mich erschöpft, aber befreit. Wie schon gesagt, bei mir wirkt das Schreiben oft wie Therapie. (Aber nochmals Reminder: Auch das kreative Schreiben kann niemals eine Therapie oder Trauma-Coaching usw. ersetzen!)
Wie es an Tagen ohne Depression ist, kann ich ehrlich gesagt, (noch) nicht berichten. Da bin ich gespannt, auf welche Weise sich die Kreativität anfühlen wird :)


Was mir noch wichtig ist, konkret zum Schreibprozess zu sagen: Macht euch keinen Druck! Besonders, wenn ihr als Autor*in selbst mit dem Thema, über das ihr schreibt, zu tun habt, kann eine Szene oder ein Kapitel manchmal wie eine Therapiesitzung sein − das ist anstrengend, da kommen innere Widerstände auf, es kann euch zum Weinen bringen, es kann das Schreiben unmöglich erscheinen lassen. Und das ist okay.
Und es ist ebenso okay, wenn die geschriebenen Sätze nicht die schönsten sind, nicht die literarisch ausgeklügelsten. Das kann man in der Überarbeitung alles ausbügeln, und das Lektorat gibt es ja auch noch :) Gönnt euch genügend Pausen bei so einem intensiven Schreiben, seid liebevoll mit euch selbst − manchmal muss man erst mal selbst etwas für sich klären, bevor man weiter beschreiben kann, wie es der Romanfigur damit geht.

Am Ende werden sie sich gelohnt haben, die wortwörtlichen Tränen, Schweiß und Ängste. Ihr werdet mit eurem Text gewachsen sein. Und das ist doch das Schönste: Mit jedem Buch, das wir lesen, und mit jedem Buch, das wir schreiben, lernen wir für uns und andere dazu.



Herzlich,
eure Melina