Intuitives Schreiben - Meine Herangehensweise
Aller Anfang ist eine Idee. Bei
jeder Art des Schreibens oder anderen kreativen Schaffensprozessen.
Liegt nicht bereits ein
angefangenes Projekt auf dem Tisch, lege ich meiner Begeisterung für die Idee keine
Vertröstungen auf später in den Weg und greife sofort nach Stift und Papier. Wie genau funktioniert das beim
intuitiven Schreiben? Eine Idee macht ja noch kein Kapitel und schon gar kein
ganzes Buch.
Die erste Idee für eine Geschichte liefert mir immer schon die Person oder eine der Personen, um die es geht. Damit ist das Wichtigste gegeben. Bisher kamen auch mit der Anfangsidee die Lebensumstände oder die jeweilige Welt mit hereingeflattert − der zweite wichtige Bestandteil. Für eine neue Idee nehme ich mir Zeit, schwimme einige Zeit in den Eindrücken, die sie mir zeigt. (Bei mir funktioniert das meistens über Bilder in meinem Kopf, die oftmals mit Gefühlen verknüpft sind.) Musik kann dieses Verbleiben in den ersten Bildern wunderbar unterstützen, wenn man denn sofort die passende zur Hand hat.
Das ist noch immer "Kopfarbeit", zählt für mich aber schon zum Schreibprozess dazu: Eindrücke sammeln, die auftauchenden Gefühle den Personen zuordnen, mithilfe von Musik die Bilder im Kopf zu erweitern suchen, eventuell weitere Eindrücke erhalten. (Selten passen Bilder der Geschichte, die nacheinander erscheinen, in dieser Reihenfolge für das Erzählen zusammen. Der erste Eindruck einer neuen Geschichte muss nicht einmal der Anfang sein. Ich hatte meistens zuerst Ideen für einen Teil der Geschichte, der in der Mitte oder am Ende stattfand.)
Also, den Bildern im Kopf folgen − und wie funktioniert das dann, wenn es endlich zum Schreiben auf intuitive Weise kommt?
Treiben lassen.
Von der Geschichte und den Charakteren und den Orten. Intuitives Schreiben
heißt für mich, dass ich keine Handlungen schreibe, wie ich sie ausführen
würde, meinen Figuren keine Gedanken einschreibe, wie ich sie denken würde, sondern
dass ich auf die Geschichte höre. Am wichtigsten ist mir ihr Ton, der sich in
den meisten Fällen bei der ersten Szene, die ich aufschreibe,
herauskristallisiert, der Ton der Geschichte, die Stimme der Hauptfigur. Ein
enorm wichtiger Bestandteil, um eine Geschichte authentisch wirken zu lassen
und sie zu etwas Besonderem zu machen! Um hier keine Missverständnisse
entstehen zu lassen: Die Stimme der Hauptfigur plane ich nicht, ich schreibe das,
was ich höre, was mir die Figur vorgibt. So funktioniert das intuitive
Schreiben für mich: Ich höre zu, ich beobachte, ich fühle, was mir gezeigt
wird, und schreibe das genau so auf. Meine spirituelle Seite versteht das als die
Magie der befristeten Beziehung zu fiktiven Charakteren, bestimmt gibt es dazu auch
wissenschaftliche Erklärungen über das Unterbewusstsein und kreative Inspiration.
😉
Das klingt bisher noch recht
einfach und geradlinig, die intuitive Herangehensweise kann aber auch
trügerisch sein: Manchmal führt man sich selbst auf Irrwege −
ich habe schon
mal die falsche Hauptperson für eine Geschichte gewählt und erst nach dreizehn Kapiteln,
als eine Nebenfigur auftauchte, wusste ich plötzlich, dass diese Figur sich wie
die Hauptfigur anfühlt und dass sie noch
mehr zu erzählen hat, dass ich als Schreibende diese Figur besser aufs
Papier bringen kann als die zuvor gewählte. Trügerisch dabei kann das erste
Bild bzw. die erste Idee für die Geschichte sein, vielleicht beinhaltet diese
nämlich eine Figur, die man automatisch als Hauptfigur deklariert. Wenn man
sofort losschreibt, um die Idee festzuhalten oder das Bild in eine Szene der
Geschichte zu verwandeln, sollte man daher im Hinterkopf behalten, dass man
vielleicht gerade einer Nebenfigur folgt.
Zu beschreiben, wie sich die Hauptfigur anfühlt, wenn man sie gefunden hat, ist
schwierig. Sie fühlt sich echt an, aber das sollten Nebenfiguren auch.
Vielleicht ist es am treffendsten, wenn ich sage, dass die Hauptfigur einen
anderen Draht zu mir als Schreibende hat als die Nebenfiguren. Sie öffnet sich
mir etwas mehr, weil sie mir ja ihre Geschichte erzählen will. Zusammen mit der
Hauptfigur flattern Fetzen von ihrer Vergangenheit herein, seelische
Verletzungen, an denen sie zu knabbern hat, Glaubensmuster, die sie prägen.
Nicht alles davon lässt sie mich sofort erfassen, es ist bei jeder Figur mit
jeder geschriebenen Szene ein Herantasten an den Menschen, der sie wirklich
ist. Je nachdem, wie nah die Hauptfigur mich an sie heranlässt, sehe ich Bilder
aus ihrer Geschichte durch ihre Augen und in der Totale, was ich schreibend
umsetzen kann mit der Ich-Perspektive oder der Er/Sie/They-Perspektive.
Manchmal lassen Hauptfiguren mich nicht durch ihre Augen sehen, sondern sie nur
von außen betrachten, dann bietet sich für das Schreiben z. B. am besten die
Er/Sie/They-Perspektive an oder auktorial, neutral.
Nicht alle Schreibenden sehen ihre
Geschichten in Bildern oder Bewegtbildern vor sich. Hilfreich ist diese
Verbindung zur Geschichte schon, aber es gibt ja auch noch die anderen Sinne.
Wenn meine Figur mir Gefühle zeigt, wenn sie mich riechen lässt, was sie
riecht, mich hören lässt, was sie hört, schmecken lässt, wie sie es tut,
vermittelt das auch einen bildlichen Eindruck. Ich höre auch öfter die
speziellen Betonungen der Gespräche zwischen Figuren, stockende Stimmen, laut
oder leise Gesagtes, Ungesagtes ...
Das ist jetzt natürlich nicht speziell nur beim intuitiven Schreiben so, so
geht es auch Plotter*innen.
Diese Wahrnehmungsmöglichkeiten der Geschichte, die wir unbedingt zu Papier
bringen wollen, haben jedoch einen positiven Einfluss auf das intuitive Schreiben:
Wir wissen nicht, wohin die Geschichte geht, wir wissen noch nicht einmal, ob
die erste Szene, welche wir aufschreiben, die erste Szene der Geschichte ist.
Von der Figur, die wir zuerst kennenlernen, wissen wir kaum etwas, was über
ihre erste Szene hinausgeht. Wenn wir die Szenen also wahrnehmen mit allem, was
sie zu bieten haben, von Dialogen und Gedanken über Figurenhandlung, Gefühle,
bis zu der sinnlichen Wahrnehmung der Umgebung, der Lebensart, der Welt −
dann
können wir diesen von der Figur gelegten Spuren intuitiv folgen, um weiter in
die Geschichte vorzudringen. Wie gesagt, dabei können wir auf Irrwege geraten,
wenn wir woanders hinwollen, als es die Geschichte will😉.
Aber auch solche Abstecher haben ein Gutes, denn sie lehren uns, noch intensiver
auf unsere Figuren zu hören.
Was dem intuitiven Schreiben hilft, sind Schreibübungen. Wenn man vor einem großen Projekt oder zwischendurch immer mal Schreibübungen macht (z. B. zu Show don't Tell; perspektivischem Schreiben aka. in der Figur bleiben und sich an die gewählte Perspektive halten, ohne aus dieser herauszufallen; Dialoge schreiben; Beschreibungen üben etc.), dann fällt das Schreiben bei einem intuitiven Abtauchen in die Geschichte leichter. Dann muss man sich "nur noch" auf die Geschichte konzentrieren und nicht zusätzlich darauf, wie man am besten eindrücklich schreibt.
Als Beispiel zum intuitiven
Schreiben kann ich ein bisschen was zu zwei meiner aktuellen Projekte sagen:
Bei der Fantasygeschichte kam mir die Anfangsidee in ganz vielen bildlichen
Eindrücken von der Fantasywelt. Und beim Schreiben der ersten Szene hat sich
herausgestellt, dass die Erzählerin jugendlich erzählt, was ich bei den ersten
Eindrücken noch nicht wusste. An diesem Beispiel erkennt man auch den
Unterschied zwischen der ersten Idee und dem ersten Aufschreiben: da kann es
noch mal neue Erkenntnisse zur Geschichte geben!
Mein anderes aktuelles Schreibprojekt ist ein Gegenwartsroman, der sich mir
noch nicht ganz erschlossen hat. Ich lerne mit jeder Schreibsession mehr über
die Figur, ihre Hintergründe und in welche Richtung die Geschichte gehen wird.
Die Anfangsidee war hier eine Szene, die sich mir zuallererst über die
Erzählstimme der Hauptfigur und ihre spezielle Wahrnehmungs- und Denkweise offenbart
hat.
Zusammengefasst könnte man also
sagen, dass das intuitive Schreiben für mich übersetzt heißt: der Geschichte
lauschen, ihr folgen, schreibend die Protagonist*innen, ihre Erzählstimmen und
die Welt erkunden. Intuitiv schreiben bedeutet für mich, schreiben, ohne zu
wissen, wohin mich die Geschichte führt, ohne zu wissen, welche Figuren am Ende
noch leben, ohne zu wissen, ob die Geschichte nur ein Buch oder mehrere füllen
wird. Und es heißt auch: Ich schreibe Szenen, die am Ende vielleicht gar nicht
im Buch landen, denn bei der Überarbeitung schaue ich dann auf Spannungsbogen,
Entwicklung etc. und kürze oder füge hinzu, meine Überarbeitung findet weitaus "geplanter"
statt.
Ja, irgendwie ist das ein beängstigender Prozess. Die Unsicherheit beim
Schreiben lässt mich oftmals stocken und längere Pausen einlegen. Für mich
persönlich kommt jedoch keine andere Schreibweise infrage. Eine Geschichte zu
plotten, habe ich bereits mehrmals versucht und bin jedes Mal kläglich
gescheitert. Ich habe geschrieben, verworfen, neu geplottet, den Plot-Plan
verworfen, neu geschrieben, umgeschrieben, neu geplottet ... keine der
Schreibweisen hat sich richtig angefühlt. Ich habe dabei kein einziges Mal auf
meine Figuren gehört, ich hatte die ganze Zeit nur den Anspruch, dass meine
Geschichte so gut werden muss wie andere ähnliche Bücher auf dem Markt, dass
meine Geschichte ähnlich verlaufen sollte wie andere bekannte Bücher, dass der
Handlungsverlauf sich orientieren sollte an dem, was es bisher gibt. Außerdem
ist bei mir der Fall eingetreten, der vielleicht kurios klingt für alle
Plotter*innen, doch es gibt Schreibende, denen es tatsächlich so geht: Hatte
ich einen Plot-Plan erstellt und wollte damit loslegen, den Plan Kapitel für
Kapitel umzusetzen, war meine Motivation und meine Neugier auf die Geschichte
wie weggeblasen. Sprich: wenn ich die Geschichte schon kenne, bin ich
gelangweilt und habe keine Lust mehr, sie noch mal aufzuschreiben! Deshalb gehört
zum intuitiven Schreiben auch die Freiheit, Szenen zu schreiben, wie sie
kommen. Erzählt meine Figur das Ende zuerst, schreibe ich das eben zuerst.
Wenn sie irgendwo zur Mitte der Geschichte springt, folge ich ihr, und schreibe
diese Szene (wobei übrigens auch die faszinierendsten Erkenntnisse über
die Geschichte entstehen können, manchmal versteht man etwas rückwärts besser als
vorwärts.) Danach erzählt mir die Figur drei Szenen vom Anfang und ich verstehe
auf einmal die Zusammenhänge ihrer Entwicklung. Das lässt einerseits meine
Neugier und Motivation nicht einschlafen und andererseits ist es doch egal, in
welcher Reihenfolge man schreibt: Im Buch wird die Geschichte ja chronologisch
erzählt. 😉 (Sofern das dem Stil der Geschichte
entspricht, versteht sich −
es gibt ja auch Geschichten, die absichtlich nicht
chronologisch erzählt werden.)
Intuitives Schreiben bedeutet ganz viel Freiheit −
und es erfordert ganz viel
Vertrauen, in die Figuren und in die eigenen Fähigkeiten des Zuhörens und
Geduldigseins.
Mit dem intuitiven Schreiben komme ich weg von Vergleichen zu anderen
Geschichten, von meinen Erwartungen an den Erfolg des Buches, von meinen
Vorstellungen, wie es sein sollte. Ich vertraue darauf, dass die Geschichte
sich mir im Laufe des Schreibens offenbart. Und ich bin grenzenlos neugierig
auf die Geschichte und die Figuren, die ich noch nicht kenne, aber aufschreiben
darf! Die Schreibreise ist für mich ebenso spannend und aufregend wie die
Entwicklungsreise meiner Charaktere.
Und mein Wissen über Storytelling, mit dem ich auch eure Manuskripte
lektoriere, lasse ich in die Überarbeitung meiner eigenen Geschichte
einfließen. (Natürlich werden auch meine Geschichten ein Lektorat von einer
Dienstleisterin erhalten, die eigene Geschichte lektorieren und korrigieren funktioniert
einfach nicht.)
So, wie das Plotten nicht
jedermanns Sache ist, ist es auch das intuitive Schreiben nicht −
in diese
beiden Verfahren und in alles dazwischen kann sich jedoch jede*r einreihen, wie
es zu ihm*ihr am besten passt. 😊 Auf jeden Fall sollte das Schreiben nie
langweilig werden und immer der Geschichte dienen.