Die Angst vor dem Schreiben
Versucht habe ich es schon
unzählige Male, das Leben bietet dazu nun auch wirklich genug Gelegenheiten,
wenn nicht sogar Zwänge.
Ist denn jeder Versuch gescheitert?
Nein. Aber viele, und viele sind so verlaufen, dass ich noch tagelang in
Gedanken wiederholt habe, was gesagt wurde, wie es betont wurde, welche Mimik
dazu gemacht wurde, welche Gesten ich beobachtet habe.
Ja, darum geht es: um das Miteinanderreden, das Sprechen.
Schon seit Jahren schicke ich Unterhaltungen kleine Warnungen vorweg, wie: Ich
bin nicht so die große Rednerin. Oder: Ich höre gerne zu. Und die wenigstens
scheint das zu erstaunen oder zu stören. Bis sie in unserem Gespräch erleben,
wie verquer ich formuliere, Grammatik ade, wie lange ich brauche, um zu
antworten, wie ich kaum Blickkontakt halten kann. Und am
auffälligsten: wie wenig ich insgesamt sage.
Es muss für Gesprächspartner*innen verwirrend sein, wenn ich nur mit "ja" oder "stimmt"
antworte oder wenn ich minutenlang schweige und nichts Neues in unsere
Unterhaltung einbringe. Wie muss ich auf andere wirken? "Sie geht nicht auf
mich ein, sie interessiert dieses Gespräch gar nicht, sie ist ignorant, die
Gesprächspausen sind unangenehm …" So stelle ich mir ihre Meinung
zumindest vor.
Viele wissen, dass ich schreibe, und erwarten wie selbstverständlich, dass ich
darüber und über alles andere genauso souverän sprechen kann. Kann ich aber
nicht.
Die Wahrheit ist: telefonieren, Videoanrufe, Live-Gespräche – das alles
trocknet meinen Hals aus und fegt mein Gehirn leer.
Lange sprechen? Fehlanzeige, da versagt meine Stimme in null Komma nichts.
Das Gespräch immer weiterführen, neue Themen einbringen, genügend auf die
Gesprächspartner*innen eingehen? Pustekuchen, ich kann nicht denken und
sprechen gleichzeitig, ich brauche viel zu lange, um Gesagtes zu verarbeiten.
Und wenn jemand Trost braucht, Zuspruch, Ermutigung, dann kommen mir nur plumpe
Worte über die Lippen, wenn überhaupt welche. Obwohl ich gerne etwas sagen
würde, das wie eine Umarmung wirkt, wie gemeinsames Lachen.
So scheitere ich tagtäglich am gesprochenen Wort.
Und so lange war ich überzeugt, auch
beim Schreiben eine Versagerin zu sein.
Über mich selbst konnte ich jahrelang gar nicht schreiben, es tat zu weh. Tagebücher
fing ich an und hörte schnell wieder auf damit, Ereignisse und Gedanken oder
sogar Gefühle von mir aufzuschreiben. Ich schämte mich für mich selbst für zu
viele Dinge, weil ich die Zusammenhänge von Verletzungen, Reaktionen darauf und
entwickelten Schutzmechanismen noch nicht kannte.
Aber ich lebte gedanklich doch in Geschichten,
spann Fortsetzungen von Büchern und Filmen, die ich mochte, ließ meiner
Fantasie freien Lauf – wie konnte es da sein, dass ich auch Geschichten,
die nicht von mir handelten, einfach nicht aufgeschrieben bekam? Manchmal habe
ich das heute noch: da schwelge ich in den Gedankenbildern einer Geschichte
oder Idee –
den Stift in die Hand zu nehmen, um das endlich aufzuschreiben,
schiebe ich jedoch vor mir her. Warum?
Weil ich eine Angst vor dem Schreiben habe, die mich denken lässt: Ach, du brauchst
das Schreiben nicht, deine Geschichten braucht niemand, lass es einfach.
Das ist die Angst vor meinem Ausdruck und davor, diesen Ausdruck zu
veröffentlichen und damit zur Bewertung freizugeben. Ich weiß, wo diese Angst
ihren Ursprung hat. Es hat mich Jahre gekostet, das zu erkennen und daran zu
arbeiten, und ich bin immer noch dran, meine Wunden zu heilen. Meinen Blog zu
starten war der erste sichtbare Schritt, mit dem ich einen Teil meines
Ausdrucks befreit habe.
Noch ist die Angst aber nicht ganz verschwunden. Mit dem Sprechen hadere ich
jeden Tag und bin noch keinen Schritt weitergekommen. Mit dem Schreiben bin ich
an einem Punkt angelangt, an dem ich über mich selbst schreiben kann und sogar
Menschen an diesem Schreiben teilhaben lasse, ohne jede Minute das Bedürfnis zu
haben, meinen Blog zu löschen.
Es sind kleine Schritte, die ich
gehe, um mich wahrhaft ausdrücken zu können. Doch ich gehe weiter, das ist, was
zählt. Und mittlerweile ist das Schreiben für mich ein Helfer geworden für
Klarheit und für die Erkenntnis: Ich habe etwas zu sagen und ich darf darüber
schreiben, und Menschen können meine Texte lesen, und Austausch kann
stattfinden über ähnliche Erfahrungen, Schwierigkeiten und Ermutigungen, und so
viel Verständnis kommt mir entgegen.
Nun hat mich dieser Text vom
Sprechen zum Schreiben und zu etwas Wunderschönem auf meiner Reise gebracht:
Danke euch, liebe Lesende, danke für eure lieben Nachrichten und den wertschätzenden
Austausch!
Ich gehe in meinem Tempo weiter und schreibe weiter, und vielleicht wird diese
Form der existenziellen Angst irgendwann nur noch eine von vielen Geschichten
sein, die ich zu erzählen habe.
Herzlich,
eure Melina
Wenn du möchtest, erzähl mir doch,
was deine größte Hürde beim Schreiben ist oder wie dir das Schreiben auf deinem
Weg schon helfen konnte. Gerne in einer Nachricht auf Instagram an
@weltenzeilen oder per E-Mail an weltenzeilen@posteo.de
Ich freue mich, von euch zu lesen! 😊