Von der Kritikmaschinerie in meinem Kopf
Inhaltswarnung: Starke Selbstzweifel, Selbstkritik
Darf ich einen literarischen Blog starten, ohne etwas veröffentlicht zu haben? Darf ich mich Autorin nennen, ohne dass eine Veröffentlichung in näherer Zukunft in Sichtweite wäre? Ist die Bezeichnung literarischer Blog überhaupt angebracht?
Was ich nicht für Bedenken hatte, die mich tagelang davon
abgehalten haben, den nächsten Blogbeitrag zu schreiben. Ängste, Zweifel,
innere Kritik ... Themen, die mich überall begleiten. Ich zweifle nicht nur
ständig an meinem Schreiben, sondern auch generell an mir 🤣
Hier ein kleiner autofiktionaler
Text dazu:
Von der Kritikmaschinerie in meinem Kopf
Ich streiche den Satz durch. Beginne mit einem anderen
Subjekt. Werfe ein Adjektiv raus. Zufrieden bin ich damit nicht, dennoch ziehe
ich meiner inneren Kritikmaschine den Stecker und schreibe weiter.
Die Sätze nicht immer mit "er" anfangen. Überhaupt, nicht so
häufig das Pronomen meines Protagonisten verwenden. Statt "viel": konkreter
werden. Nicht so oft "doch" verwenden, wenn dem keine stilistische Bedeutung
beigemessen werden kann.
Die Kritikmaschine hat sich wohl von selbst wieder
eingestöpselt. Weil sie mich heute mehr innehalten als schreiben lässt,
schweifen meine Gedanken ab. Und schon bin ich aus der Szene geflogen; die
passende Stimmung für diesen wichtigen Abschnitt im Leben meines Protagonisten
ist verpufft. Ich lasse den Kugelschreiber aus meiner Schreibhand rutschen, er
rollt über die aufgeschlagene Seite des Notizbuchs hinaus, hüpft auf die weiße Schreibtischplatte.
Plastik. Wollte ich mich nicht mal über nachhaltige Stifte informieren?
Wenn selbst dein Schreibwerkzeug Ablenkung für dich ist,
solltest du einfach aufhören. Deine Geschichte wird nie fertig werden, mit
diesen lausigen zweihundert Wörtern alle paar Tage.
Hallo Zweifler, innerer Kritiker, Selbstdiffamierer. Dein
Suchen nach Fehlern und Unzulänglichkeiten rattert hinter meiner Stirn. Vielen
Dank auch, mit deiner motivierenden Bestärkung komme ich bestimmt schneller zum
Ende meines Manuskripts!
Ich verkneife es mir, die geschriebenen Zeilen von heute
durchzulesen. Aus Erfahrung weiß ich, dass das meinen Schreibfluss hemmt. Eine halbe
DIN-A5 Seite. Und ich nenne mich Autorin?!
Den Kopf in die Hände gestützt betrachte ich den Bücherstapel
auf der Fensterbank mit meinen derzeitig liebsten Büchern. Darunter die Reihe
mit den vier Sechshundert-Seiten-Bänden.
Wie hat die Autorin das geschafft? So
genial zu schreiben, so komplex −
und wie hat sie dabei das Vertrauen, der
Geschichte gerecht werden zu können, nicht verloren? Wobei sie auf der Reise
vom ersten bis zum letzten Band vielleicht auch dieses oder jenes Mal
gestrauchelt ist, vielleicht hatte sie auch Schreibtage, die nicht mehr als
eine halbe DIN-A5 Seite hervorgebracht haben? Doch sie ist drangeblieben, hat
mit ihren Protagonisten die Welt weiter erkundet, hat ihre Figuren noch besser
kennengelernt, und bei all dem hat sie die richtigen Worte gewählt, um die
Eigenart dieser Geschichte einzufangen. Hohe Kunst, die ich mir zum Vorbild
nehme. Hohe Kunst, an die ich nie heranreichen werde.
Die Rädchen der Maschinerie in meinem Kopf verzahnen sich,
die Kabel wachsen.
Auch an den Erfolg der Autor*innen, die ich bewundere, werde ich nie
herankommen. Sicheres Auftreten bei Interviews, das Selbstbewusstsein über ihr
Handwerk. Die Routinen, an die sie sich halten −
jeden Tag schreiben,
schreiben, schreiben. Kreativlöcher, Schreibblockaden −
was soll das sein?
Währenddessen scheitere ich an kreativen Aufgaben im Studium
und bei allem anderen, was ich in den Seminaren vorzeigen muss, sowieso. Ich
brauche länger als meine Mitstudierenden, ich verstehe Aufgaben falsch, ich
will Literatur nicht auseinandernehmen oder in Qualitätstabellen unterteilen.
Überhaupt: Was ich alles nicht kann! Berufswunsch, möglicher Karriereweg? Wie
denn, ohne Fähigkeiten?!
Die Kritikmaschine spuckt aus in alle Richtungen: klebrige,
stinkende Dickflüssigkeit. Der Brei verhindert klare Sicht, auf mich, auf mein
Umfeld, auf das Leben.
Okay, du sagst also, ich kann nichts?
Eine Stimme; nicht die der Kritik. Eine Stimme, die aus
meinem tiefsten Inneren steigt. Die ich fast vergessen hatte.
Du sagst also, andere können alles viel besser als ich?
Die Frage klingt nicht angreifend, eher ... um Verständnis
bemüht?
Das Rattern hinter der Stirn wird langsamer. Die guten Noten
sagen gar nichts aus. In den Seminaren klangen meine Mitstudierenden immer
klüger als ich. Meine Lieblingsbücher sagen mir mit jedem gelesenen Satz, wie
genial die Autor*innen und wie langweilig meine Geschichten dagegen sind.
So ist deine Meinung. Nun gut, sprich weiter, ich höre dir
zu.
Maschinenteile scheppern.
Bitte, nun wird dir Raum gewährt. Beweise mir, dass ich
nichts kann.
Zahnräder stoppen, die Maschine steht still. Wenn sie nicht
nur Kritik üben könnte, würde sie sich jetzt vielleicht fragen, welche Kabel
falsch angeschlossen sind, da sie keine Angstreaktion erzeugen kann.
Lass mich dir etwas beweisen:
Das Einzige, was ich kann und wobei ich nicht die Motivation
verliere, ist das Schreiben meiner Geschichten. Für nichts Anderes bringe ich
so viel Geduld auf, bei nichts Anderem in meinem Leben habe ich so viel
Ausdauer wie beim Begleiten meiner Figuren.
Hinter dem Rumoren meiner Kritikmaschine, hinter dem, was sie
mir entgegen spuckt, ankert die Stimme, die mir vertraut. Bei all dem Lärm ist ihr
Wispern meistens kaum zu verstehen. Dennoch ist sie da −
und manchmal nutzt sie
den Maschinenwind, um in meine Hörweite zu segeln. Dann zieht das Vertrauen den
Stecker und erinnert mich daran, wie er sich anfühlt, der Auftritt meiner
Figuren auf die Bühne −
die Notizseite vor mir: Durch den Stift in meiner Hand
zeigen mir die Charaktere ihre Welt und lassen mich Worte aufschreiben, auf die
ich selbst nicht gekommen wäre. Sie enthüllen mir ihr Wesen, ihre Ziele und
ihre Träume, wenn ich es am wenigsten erwarte. Meine Figuren lassen mich durch
ihre Augen schauen und Details wahrnehmen, an denen ich in der Realität unwissend
vorbeigegangen bin.
Durch den
Körper vibrierend und das Herz weitend −
an dieses Schreibgefühl erinnert mich
mein Selbstvertrauen. Und die Kritik steht still.