Von der Kritikmaschinerie in meinem Kopf

12.06.2022

Inhaltswarnung: Starke Selbstzweifel, Selbstkritik


Darf ich einen literarischen Blog starten, ohne etwas veröffentlicht zu haben? Darf ich mich Autorin nennen, ohne dass eine Veröffentlichung in näherer Zukunft in Sichtweite wäre? Ist die Bezeichnung literarischer Blog überhaupt angebracht?

Was ich nicht für Bedenken hatte, die mich tagelang davon abgehalten haben, den nächsten Blogbeitrag zu schreiben. Ängste, Zweifel, innere Kritik ... Themen, die mich überall begleiten. Ich zweifle nicht nur ständig an meinem Schreiben, sondern auch generell an mir 🤣
Hier ein kleiner autofiktionaler Text dazu:


Von der Kritikmaschinerie in meinem Kopf

Ich streiche den Satz durch. Beginne mit einem anderen Subjekt. Werfe ein Adjektiv raus. Zufrieden bin ich damit nicht, dennoch ziehe ich meiner inneren Kritikmaschine den Stecker und schreibe weiter.
Die Sätze nicht immer mit "er" anfangen. Überhaupt, nicht so häufig das Pronomen meines Protagonisten verwenden. Statt "viel": konkreter werden. Nicht so oft "doch" verwenden, wenn dem keine stilistische Bedeutung beigemessen werden kann.
Die Kritikmaschine hat sich wohl von selbst wieder eingestöpselt. Weil sie mich heute mehr innehalten als schreiben lässt, schweifen meine Gedanken ab. Und schon bin ich aus der Szene geflogen; die passende Stimmung für diesen wichtigen Abschnitt im Leben meines Protagonisten ist verpufft. Ich lasse den Kugelschreiber aus meiner Schreibhand rutschen, er rollt über die aufgeschlagene Seite des Notizbuchs hinaus, hüpft auf die weiße Schreibtischplatte. Plastik. Wollte ich mich nicht mal über nachhaltige Stifte informieren?
Wenn selbst dein Schreibwerkzeug Ablenkung für dich ist, solltest du einfach aufhören. Deine Geschichte wird nie fertig werden, mit diesen lausigen zweihundert Wörtern alle paar Tage.
Hallo Zweifler, innerer Kritiker, Selbstdiffamierer. Dein Suchen nach Fehlern und Unzulänglichkeiten rattert hinter meiner Stirn. Vielen Dank auch, mit deiner motivierenden Bestärkung komme ich bestimmt schneller zum Ende meines Manuskripts!
Ich verkneife es mir, die geschriebenen Zeilen von heute durchzulesen. Aus Erfahrung weiß ich, dass das meinen Schreibfluss hemmt. Eine halbe DIN-A5 Seite. Und ich nenne mich Autorin?!
Den Kopf in die Hände gestützt betrachte ich den Bücherstapel auf der Fensterbank mit meinen derzeitig liebsten Büchern. Darunter die Reihe mit den vier Sechshundert-Seiten-Bänden.
Wie hat die Autorin das geschafft? So genial zu schreiben, so komplex − und wie hat sie dabei das Vertrauen, der Geschichte gerecht werden zu können, nicht verloren? Wobei sie auf der Reise vom ersten bis zum letzten Band vielleicht auch dieses oder jenes Mal gestrauchelt ist, vielleicht hatte sie auch Schreibtage, die nicht mehr als eine halbe DIN-A5 Seite hervorgebracht haben? Doch sie ist drangeblieben, hat mit ihren Protagonisten die Welt weiter erkundet, hat ihre Figuren noch besser kennengelernt, und bei all dem hat sie die richtigen Worte gewählt, um die Eigenart dieser Geschichte einzufangen. Hohe Kunst, die ich mir zum Vorbild nehme. Hohe Kunst, an die ich nie heranreichen werde.
Die Rädchen der Maschinerie in meinem Kopf verzahnen sich, die Kabel wachsen.
Auch an den Erfolg der Autor*innen, die ich bewundere, werde ich nie herankommen. Sicheres Auftreten bei Interviews, das Selbstbewusstsein über ihr Handwerk. Die Routinen, an die sie sich halten − jeden Tag schreiben, schreiben, schreiben. Kreativlöcher, Schreibblockaden − was soll das sein?
Währenddessen scheitere ich an kreativen Aufgaben im Studium und bei allem anderen, was ich in den Seminaren vorzeigen muss, sowieso. Ich brauche länger als meine Mitstudierenden, ich verstehe Aufgaben falsch, ich will Literatur nicht auseinandernehmen oder in Qualitätstabellen unterteilen. Überhaupt: Was ich alles nicht kann! Berufswunsch, möglicher Karriereweg? Wie denn, ohne Fähigkeiten?!
Die Kritikmaschine spuckt aus in alle Richtungen: klebrige, stinkende Dickflüssigkeit. Der Brei verhindert klare Sicht, auf mich, auf mein Umfeld, auf das Leben.

Okay, du sagst also, ich kann nichts?

Eine Stimme; nicht die der Kritik. Eine Stimme, die aus meinem tiefsten Inneren steigt. Die ich fast vergessen hatte.
Du sagst also, andere können alles viel besser als ich?
Die Frage klingt nicht angreifend, eher ... um Verständnis bemüht?
Das Rattern hinter der Stirn wird langsamer. Die guten Noten sagen gar nichts aus. In den Seminaren klangen meine Mitstudierenden immer klüger als ich. Meine Lieblingsbücher sagen mir mit jedem gelesenen Satz, wie genial die Autor*innen und wie langweilig meine Geschichten dagegen sind.
So ist deine Meinung. Nun gut, sprich weiter, ich höre dir zu.
Maschinenteile scheppern.
Bitte, nun wird dir Raum gewährt. Beweise mir, dass ich nichts kann.
Zahnräder stoppen, die Maschine steht still. Wenn sie nicht nur Kritik üben könnte, würde sie sich jetzt vielleicht fragen, welche Kabel falsch angeschlossen sind, da sie keine Angstreaktion erzeugen kann.
Lass mich dir etwas beweisen:
Das Einzige, was ich kann und wobei ich nicht die Motivation verliere, ist das Schreiben meiner Geschichten. Für nichts Anderes bringe ich so viel Geduld auf, bei nichts Anderem in meinem Leben habe ich so viel Ausdauer wie beim Begleiten meiner Figuren.


Hinter dem Rumoren meiner Kritikmaschine, hinter dem, was sie mir entgegen spuckt, ankert die Stimme, die mir vertraut. Bei all dem Lärm ist ihr Wispern meistens kaum zu verstehen. Dennoch ist sie da − und manchmal nutzt sie den Maschinenwind, um in meine Hörweite zu segeln. Dann zieht das Vertrauen den Stecker und erinnert mich daran, wie er sich anfühlt, der Auftritt meiner Figuren auf die Bühne − die Notizseite vor mir: Durch den Stift in meiner Hand zeigen mir die Charaktere ihre Welt und lassen mich Worte aufschreiben, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Sie enthüllen mir ihr Wesen, ihre Ziele und ihre Träume, wenn ich es am wenigsten erwarte. Meine Figuren lassen mich durch ihre Augen schauen und Details wahrnehmen, an denen ich in der Realität unwissend vorbeigegangen bin.
Durch den Körper vibrierend und das Herz weitend − an dieses Schreibgefühl erinnert mich mein Selbstvertrauen. Und die Kritik steht still.



Hast du auch mit dem inneren Kritiker zu kämpfen? Hemmt er dich in der Ausdrucksform deiner Kreativität? Hast du Wege gefunden, damit umzugehen bzw. die kritische innere Stimme auf leise oder stumm zu schalten?
Ich freue mich auf den Austausch mit dir! 
@weltenzeilen  
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Herzlich,

eure Melina